Sonntag, 8. August 2021

Tod und Tanzen

Tod und Tanzen



„Über das Einzige, das wir genau wissen, wollen wir nichts wissen.“

Vielleicht haben wir Angst davor, nicht weiter zu leben, weil wir ahnen, zu wenig gelebt zu haben?
Ich habe mich seit meiner Kindheit, als ich die Erwachsenen über meine unheilbare Krankheit sprechen hörte, mit dem Tod beschäftigt. Als ich leben wollte und aß, was ich nicht essen durfte und mehr trank, als mir erlaubt war, gab es Prophezeiungen. Mein behandelnder Arzt, Prof. Oberdisse von der Uni-Klinik, traf mich in der Altstadt-Kneipe und sagte, "In spätestens dreissig Jahren pflanze ich Stiefmütterchen auf dein Grab."
„Scheissegal! Ich lebe!“

Ich lebte und lebte und wurde alt. Wie das? Wahrscheinlich, weil ich lebte! Der Tod war nie mein Feind und stand oft an der Tür, aber NIE wegen meiner Krankheit. Er wurde fast zum Nachbar, zum Freund, mit dem ich diskutierte und Schnaps trank.
Warum haben fast alle Menschen Angst vor Freund Hein? Was würden sie als letztes denken und sagen, wenn er ihnen die Hand reicht?
Der Komponist Johannes Brahms soll am 3.April 1897 auf seinem Sterbebett als Letztes zu seiner Krankenschwester gesagt haben, "Oh, das schmeckt gut. Danke!"
Sie hatte ihm ein Glas Wein gereicht.
Der berühmte Schriftsteller und langjährige SPIEGEL-Autor Tiziano Terzani - Asien-Kenner wie keiner zweiter seiner Kollegen - beschreibt die Zeit nach der Diagnose seines unheilbaren Krebses in einem dicken Buch, das uns durch New York und dann durch ganz Asien führt. Ich erinnere mich an eine kleine, aber hier passende Geschichte:
„Ein alter Mönch fühlt seinen Tod nahen. Er legt sich nieder und verkündet, dass er in den nächsten Stunden sterben werde.
Alle seine Schüler versammeln sich an seinem Sterbelager. Nur sein ergebenster Schüler eilt nicht zu seinem Meister, sondern auf den Markt, um einen Kuchen zu holen. Er weiss, dass der sterbende Mönch diesen besonders liebt. Aber er bekommt ihn nicht, der Kuchen muss erst gebacken werden. Das dauert den ganzen Tag. Als das fertig ist, läuft er zurück in der Hoffnung, noch rechtzeitig zu kommen. Am Bett schlägt der alte Mönch die Augen auf und fragt: „Endlich. Wo ist der Kuchen?“ Er lässt sich ein Stück reichen und verzehrt es mit großem Genuss.
Danach fragen ihn seine Schüler: „Meister, wie lautet deine letzte Lehre? Was soll nie vergessen werden?“
Der Meister lächelt und spricht dann, jedes Wort einzeln betonend: „Dieser Kuchen schmeckt vorzüglich!“ (*)
Lassen wir es dabei. Ich wünsche allen, besonders den Älteren einen schönen Sonntag und eine genussreiche kommende Zeit.
Manfred Spies
Sonntag, 8.8.2021
(*) Tiziano Terzani, Noch eine Runde auf dem Karussell, 731 Seiten

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Sehr geehrter Herr Lanz, zwar bin ich nach Thailand mit meiner Frau ausgewandert, aber ich sehe seit vielen Jahren regelmäßig Ihre Talk-Send...